Im Seidenpyjama. Gedanken zu Rainer Merkel, Julia Cameron und dem Schreiben

Das Buch wehte irgendwann zu Beginn meines Studiums zu mir herein, ein Geschenk meines Cousins, der eine Ader für Esoterisches hat und der mir damit für meinen kreativen Weg alles Gute wünschen wollte: „Der Weg des Künstlers“ von Julia Cameron. Der typische violette Einband war mir, ebenso wie der Titel, etwas peinlich bei der öffentlichen Lektüre: Will man öffentlich damit gesehen werden, dass man damit liebäugelt, eine Künstlerin zu sein? Und vor allem: dass man dafür nicht ohne die Unterstützung solcher einschlägiger Ratgeberliteratur auskommt?

Dem spirituell angehauchten Teil des Buches stand ich denn auch sehr skeptisch gegenüber. Inmitten einer lange währenden kreativen Blockade, die mich ziemlich unglücklich machte, probierte ich es aber doch mit den dort angegegebenen Übungen. Mit verschiedenen Unterbrechungen, immer mal, über Jahre hinweg. Erst hatte ich das Gefühl, das bringt überhaupt nichts – das morgendliche Aufschreiben all dieser Müllgedanken, die sich so im Kopf angesammelt haben. Aber natürlich bringt das allein schon dadurch was, dass man sich insgesamt über einiges klarer wird. Und die Tatsache, dass man dann am wenigsten schreiben will, wenn es am meisten zu beackern gäbe.

Das Buch ist unterdessen zu einem Begleiter geworden. Von Zeit zu Zeit schaue ich hinein, lese einen Abschnitt, mache vielleicht eine Übung oder zwei, wundere mich über den direkten, fast mündlichen Stil und immer noch über die esoterischen Anteile – und zugleich merke ich, dass ich einiges unterdessen besser verstehe. Zum Beispiel: Die Geschichte mit dem zerknitterten Seidenpyjama.

Julia Cameron schreibt, das Schreiben sei für sie so wie ihr Pyjama- vertraut, geliebt, alltäglich und bequem.

Anfänglich hab ich das überhaupt nicht kapiert. Schreiben ist Mühe! hab ich gedacht. Und: Das Ringen um die richtigen Worte tut weh! Wie soll denn das bequem sein?

Dann lernte ich bei einer Veranstaltung über Dramenübersetzung zufällig den Schriftsteller Rainer Merkel kennen, einfach nur dadurch, dass er neben mir saß. Wir unterhielten uns relativ bald übers Schreiben, und er fragte mich, woran ich denn gerade arbeitete. Ich schämte mich ein wenig, weil das, womit ich gerade gedanklich beschäftigt war, solche Teenager-Party-Love-Stories waren, von denen mir, gerade erst von der Buchmesse zurückgekehrt, klar war, dass sie niemanden interessieren würden. Ein Bekannter von mir hatte in anderem Zusammenhang gesagt, solcherlei Texte wolle doch niemand mehr lesen, und all die Jungautoren täten der Welt einen Gefallen, wenn sie diese Party-WG-Geschichten, wenn sie sie schon schreiben müssten, in der Schublade ließen, im Garten vergrüben, ins Feuer würfen. Das sagte ich Rainer Merkel, der entgegnete: Ein Schriftsteller könne doch eh nur das schreiben, was er eben schreiben könne, und nichts anderes.

Davon war ich ganz entwaffet, so einleuchtend und zugleich erleichternd schien mir das.

Seither versuche ich, beim Schreiben umso mehr eben „das zu machen, was ich machen kann“ – und so sehr es mir möglich ist, mich nicht einem fremden Anspruch an mein Geschriebenes anzupassen. Je mehr ich das tue, schreiben, wie ich bin, und je öfter ich das tatsächlich übe, desto mehr wird auch das Schreiben alltäglich, bequem, vertraut. So ist das also gemeint, das mit dem Seidenpyjama!

Natürlich gibt es auch noch immer das „Schreiben im Businessanzug“, das Schreiben für Auftraggeber, deren Ansprüchen man genügen muss, und es gibt auch, mitten in den mir nächsten Texten, die Quälerei im Kampf um die richtigen Worte. Eine Freundin, die mit mir zuweilen ein Arbeitszimmer teilt, wundert sich nicht umsonst über meine tiefen Seufzer beim Schreiben. Und trotzdem bin ich sehr froh, dass ich jetzt weiß, wie sich das anfühlt. Und dabei hab ich nicht mal einen ordentlichen Schlafanzug, geschweige denn einen seidenen.

 

 

4 Gedanken zu “Im Seidenpyjama. Gedanken zu Rainer Merkel, Julia Cameron und dem Schreiben

  1. Über diesen Satz Rainer Merkels sollte ich auch mal nachdenken. Meine Erwartungen und Ansprüche, seien sie von mir oder anderen, sorgen recht verlässlich dafür, dass ich selten schreiben kann. Manchmal habe ich Tage, da läuft es wie geschmiert, dazwischen aber wieder Wochen, in denen es mir schon Kopfschmerzen bereitet, mich hinzusetzen und auf den Text zu gucken, den ich angefangen habe.

    • Ja, für mich hatte das auch den Effekt, dass sich ein Schalter umgelegt hat, und auf einmal sieht man das, was man tut, in einem ganz anderen Licht. Ich würd mich ja freuen, wenn der Merkel-Satz bei Dir auch manchmal helfen würde, über diese Hürden rüberzukommen.

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